RATGEBER

Ist Amalgam gefährlich?
 
 
Erst die Beratung, dann der Bohrer - das ist heute die Reihenfolge, wenn ein Loch im Zahn entdeckt worden ist. Denn als Werkstoff zum Füllen defekter Zähne hat der Zahnarzt schon lange nicht mehr nur quecksilberhaltiges Amalgam zur Hand. Ein ganzes Arsenal von Werkstoffen macht es ihm und dem Patienten zunehmend schwer; die ideale Zahnfüllung auszuwählen: Neben Amalgam sind es Kunststoffe und Zemente sowie als "Inlays" bezeichnete Einlagen aus Kunststoff, Keramik oder Gold, die zum Standardangebot gehören.

Von Andreas Schmitz
Das Amalgam ist dabei weiterhin das "schwarze Schaf" in den vergangenen fünf Jahren haben viele Zahnärzte aufgrund möglicher giftiger Nebenwirkungen völlig Abschied von dem einst gängigsten Füllmaterial genommen. Etwa die Hälfte aller Zahnfüllungen, so schätzt der Hamburger Zahnarzt Helmut Pfeffer, sind inzwischen aus Kunststoff. "Und das zu unrecht", meint Pfeffer, der Vorsitzender der Arztneimittelkommission der Bundeszahnärztekammer ist.

"Die Angst vor Amalgam hat bei manchen Patienten eine Hysterie ausgelöst, was dazu führte, daß sich einige sofort alles Amalgam haben entfernen lassen, ohne über eine vernünftige Alternative nachzudenken", sagt Pfeffer. Es sei keineswegs geklärt, ob nicht Kunststoffe in einigen Jahren ebenfalls Nebenwirkungen offenbaren. Langzeituntersuchungen gebe es noch nicht. Während nach Amalgamfüllungen in den Zähnen bei betreffenden Patienten leicht erhöhte Quecksilberwerte in der Niere gemessen wurden, könnten Kunststoffe zum Beispiel Formaldehyd freisetzen.

Auch die bei der Präparation der Kunststoffe eingesetzten Kleber, sogenannten Dentinklebern, enthalten "aktive Substanzen", wie einem Infoblatt für Patienten der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten (DGZMK) in Düsseldorf zu entnehmen ist.

Ein besonderes Problem von Kunststoffen ist, daß die gängigen Kunststoffmaterialien nach der Präparation um bis zu fünf Prozent schrumpfen. Es bildet sich dann ein Spalt zwischen Füllung und Zahn, in dem sich - unerreichbar für jede Zahnbürste - Bakterien ansiedeln und neue Karies fördern können. Außerdem, so gibt Pfeffer zu bedenken, seien in jedem Kunststoff Kohlenstoffanteile enthalten; die im Zahnmark Entzündungen auslösen könnten.

Aus der täglichen Praxis und aus Gesprächen in zahnärztlichen Qualitätszirkeln weiß Pfeffer, daß auch moderne Kunststoffe wie sogenannte Ormocere Risiken in sich bergen. Um der Spaltbildung entgegenzuwirken, hatten Forscher des Fraunhofer-Instituts für Silikatforschung in Würzburg diesen keramischen Werkstoff entwickelt, der nach Forschungen eines großen Zahncremeherstellers nur in geringem Maße schrumpfen soll. Nur etwa ein Prozent sollen diese Werkstoffe an Volumen verlieren. "Neue und unabhängige Forschungen bestätigen den angepriesenen Fortschritt nicht"; sagt Pfeffer, der bei der Bildung von Randkaries im Spalt keinen großen Unterschied zwischen herkömmlichen Kunststoffen und Ormoceren entdecken kann. Geht die Entwicklung also doch wieder zurück "zum guten alten Amalgam", wie ein Patient Pfeffer bereits fragte? "Die Entscheidung, welches Füllmaterial ausgewählt wird, muß immer eine Einzelfallentscheidung sein, sagt der Praktiker. "Je nachdem, wie weit die Karies sich schon in den Zahn gefressen hat, ob ein Zahn in der Front oder ein Backenzahn betroffen ist und nicht zuletzt, was ein Patient privat dazuzahlen möchte". Sicher scheint nur eines: Sowohl Kunststoffe als auch Amalgame haben ihre Tücken. Die Krankenkassen bezahlen weiterhin allein Amalgam und nur Kunststoff für Frontzähne. Allerdings sind diese beiden Füllstoffe nicht so haltbar wie ihre teureren Konkurrenten, die Inlays aus Gold oder Keramik. Die DGZMK schätzt die Haltbarkeit von Amalgamfüllungen auf sieben bis acht Jahre, die der Kunststoffüllungen auf vier bis sechs Jahre. Goldinlays hingegen halten etwa 15 Jahre. Keramikinlays sollen ähnlich lange haltbar sein, doch gibt es dazu noch keine Langzeituntersuchungen.

Der Kassenpatient muß heute mehr als 600 € für ein Inlay hinblättern - zu viel für viele Patienten, die allerdings mit dem Inlay das Problem des Spaltes zwischen Zahn und Füllung nicht zu fürchten bräuchten. Nebenwirkungen sind bei Gold- oder Keramikinlays praktisch nicht zu erwarten. Allerdings muß für Inlays mehr Zahnsubstanz weggefräst werden als bei den herkömmlichen Füllungen. Gerade Ränder sind nötig, um das maßgefertigte Ersatzteil aus dem Zahntechnikerlabor einzufügen. Zum Befestigen wird zwar auch bei Inlays Kunststoffkleber verwendet - die aber werden in so geringer Menge verwendet, daß Unverträglichkeiten sehr selten sind.

Bei der Beratung ist die Sensibilität des Arztes gefordert. Nicht für jeden ist das teuerste Material das beste. Der Faktor Zeit spielt ebenfalls eine Rolle: Während Amalgamfüllungen in 15 Minuten fertig sind, muß der Patient für ein Inlay zweimal zum Zahnarzt kommen und sich mindestens eine Stunde Zeit nehmen. Hinzu kommt die Arbeit des Zahntechnikers, der für ein Inlay drei bis fünf Stunden benötigt.
  


Dr. med. Achim Sommerbrodt

 

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