RATGEBER

BSE - Bovine Spongiforme Enzephalopathie
 
 
BSE ist die späte Folge einer Umweltzerstörung, welche vor 400 Jahren in England begann. Bis zu dieser Zeit war England dicht bewaldet, dann erfolgte der Aufstieg zur Weltmacht mit Kolonien in Übersee. Die ehemals riesigen Wälder wurden radikal abgeholzt zugunsten des Schiffsbaues (Britannia rules the waves) und es blieben ausgedehnte Grasflächen zurück, die fortan das englische Landschaftsbild prägten. Eine Wiesen- und Parklandschaft mit Golfplätzen, Pferdesport und Jagden entstand.

Wegen des für den Ackerbau ungünstigen Klimas legte man stattdessen große Weideflächen an, die dann fast ausschließlich der Ziegen- und der Schafszucht dienten. In diesen großen Monokulturen kam es zur ungewöhnlich starken Verbreitung des wohl schon immer bestehenden Scrapie-Erregers, der eine das Gehirn zerstörende Krankheit beim Schaf und bei der Ziege auslöst und der weltweit, aber, bedingt durch die besonderen Verhältnisse, besonders häufig in England vorkommt. Bekannt ist diese Tiererkrankung seit gut 250 Jahren.

Bei der späteren Umstellung von Schafzucht auf Rinderzucht in England wurden die nicht mehr benötigten oder auch die durch Scrapie verendeten Schafe zu Tierkörpermehl verarbeitet und in großem Umfang als Eiweißfutter den Rindern zugefüttert. Jahrzehntelang wurde der Herstellungsprozess des Tierkörpermehles mit sehr hohen Temperaturen und Drücken gefahren, um sicher alle Erreger abzutöten, wobei man zunächst aber noch nicht an BSE dachte.

Der nächste entscheidende Fehler - wiederum in England - war die seit 1980 eingeführte kosten- und energiesparende Herstellung des Tiermehles mit der Folge, dass die Scrapie-Erreger nicht mehr abgetötet wurden und nun in großer Menge die Rinder infizieren konnten. Die ursprünglich Schafs-typischen Erreger konnten auf diese Weise die "Artenschranke" durchbrechen und jetzt im Rinderorganismus angehen, leben und sich vermehren. Bei intensivem Kontakt mit infizierten Körperteilen (Gehirn, Nerven, Rückenmark) ist die Übertragung auf den Menschen sehr wahrscheinlich.

Der Scrapie-Erreger ist eine Virusart, hat eine ungewöhnliche Resistenz gegenüber Temperatur, Röntgenstrahlen und chemischen Einflüssen und er führt zu einer schwammartigen Zersetzung des Gehirnes, des Rückenmarkes als auch der Nerven mit einer langen Latenzzeit und immer tödlichem Verlauf. Diese Virusarten nennt man Prionen, sie sind noch kleiner als Viren und stellen praktisch nur ein infektiöses Eiweißpartikel dar. Im befallenen Organismus sind sie am höchsten konzentriert im Gehirn, Rückenmark und Nervensystem.

Somit ist der Verzehr von Gehirn und Nervensubstanz (auch als Beimischung in Wurstwaren) höchstwahrscheinlich eine große Gefahrenquelle, beim Verzehr von Muskelfleisch dagegen ist eine Infektionsgefahr eher nicht anzunehmen, Ausnahme ein stark von Nerven durchsetztes Fleisch. Das normale Erhitzen auf etwa 100° Celsius beim Kochen oder Braten reicht nicht aus, die temperaturresistenten Prionen abzutöten.Was ist mit Milch und den Milchprodukten? Da die Prionen praktisch nur im Gehirn-Nerven-System angereichert sind, ist die Infektionsmöglichkeit durch Milch eher nicht vorhanden. Natürlich müssen von außen kommende Verunreinigungen ausgeschlossen werden.

Die BSE - Diagnostik erfolgt durch eine Untersuchung des Gehirnes nach dem Tod eines Rindes, seit dem Jahr 2001 ist auch ein Test im Blut des lebenden Tieres möglich. Damit ist nun die Durchuntersuchung großer Rinderbestände und eine BSE-Früherkennung möglich. Folgerichtig müssten auch Schafe und Ziegen auf BSE getestet werden, da auch diese vermutlich mit dem kontaminiertem Tiermehl gefüttert wurden.

Zum Namen der Erkrankung BSE:

Eine fast gleiche Erkrankung beim Menschen (meist in höherem Alter) heißt "Creutzfeldt-Jakob-Krankheit" und war schon vor BSE bekannt. Eine neue Variante dieser Erkrankung mit dem Befall meist jüngerer Menschen in Regionen mit BSE-Epidemien lässt den Schluss zu, dass diese Fälle durch BSE ausgelöst worden sind.

Link: Histologische Bilder vom Gehirn.

In Deutschland wähnte man sich lange sicher zu sein vor einer BSE-Infektion, obwohl schon 1996 erste kritische Hinweise kamen (B. Höhne von den "Grünen" als Umweltministerin in NRW), die aber nicht ernst genommen wurden.

Im Juli 2000 erklärt der EU-Lrnkungsausschuss Deutschland zum BSE-Risikogebiet. 

Ab Oktober 2000 darf Risikomaterial (Gehirn, Rückenmark, Augen) aus Rindern, Ziegen und Schafen nicht mehr verwertet werden.

Im November 2000 wird erstmals bei einem deutschen Rind BSE entdeckt.

Im Dezember 2000 stimmen Bundestag und Bundesrat für ein generelles Tiemehlverbot. Wurstprodukte werden kontrolliert und zurückgerufen.

Bies Ende des Jahres 2000 werden acht BSE Fälle in Deutschland nachgewiesen. Gesundheitsministerin und Landwirtschaftsminister treten zurück, eine Wende in der Agrarpolitik wird politisch eingeleitet.

Ab Mitte 2001 steht der BSE-Schnelltest zur Verfügung.

Die zwei folgenden Artikel über politische und wirtschaftliche Hintergründe verdanke ich den Autoren Dr. J. und R. Tennenbaum, mit deren Genehmigung ich diese beiden Artikel übernehmen durfte. Sie wurden veröffentlicht in der Zeitschrift "Neue Solidarität".

Dr. Sommerbrodt 


1.) BSE - Folgen einer verfehlten Politik
 
 
Bei allen Unklarheiten über die Rinderseuche BSE steht eines fest: Auslöser dieser katastrophalen Tierseuche war die Deregulierung staatlicher Bestimmungen für die Herstellung von Tierkörpermehl durch die Regierung Thatcher.

Die Rinderseuche Bovine Spongiforme Enzephalopathie, kurz BSE genannt, gibt Anlaß zu größter Besorgnis, nachdem Wissenschaftler eine Übertragung auf den Menschen nicht mehr ganz ausschließen können. Untersucht man die Geschichte dieser tückischen Tierseuche und die Art und Weise, wie die britische Regierung mit ihr umging, so kann man mit Fug und Recht den umgekehrten Schluß ziehen: Der Rinderwahnsinn hat einen menschlichen Erreger, und der nennt sich Thatcherismus.

Mit dem Amtsantritt Margaret Thatchers im Jahre 1979 begann für England eine Ära des wirtschaftlichen Ultraliberalismus und des sozialen Kannibalismus. Der "Markt" wurde zur heiligen Kuh, der alle rationalen Überlegungen geopfert wurden. Die Gewinnmaximierung großer Unternehmen wurde, wie die Süddeutsche Zeitung am 25. März in einem Kommentar treffend meinte, "zum Totempfahl der Konservativen". An diesem Totempfahl wurde unbedenklich der wirtschaftliche Mittelstand ebenso geopfert wie der Lebensstandard der breiten Bevölkerung. Daß bei solchen Maßnahmen auch jegliche Überlegung von Verbraucherschutz oder Gesundheit unter die Räder geraten ist, kann kaum verwundern.

 

Thatcherismus und der Rinderwahn

Was sich hinter dem berüchtigten Begriff "Thatcher Economics" verbirgt, läßt sich treffend an der Geschichte des Rinderwahns demonstrieren. Nicht einmal ein Jahr nach dem Amtsantritt Thatchers drängte die Regierung darauf, daß die Bestimmungen für die Herstellung von Tierkörpermehl dereguliert würden. Das wissenschaftliche Beratergremium der Regierung lief Sturm dagegen und warnte dringend, solch ein Schritt berge "die Gefahr, daß Krankheitserreger auf Tierherden und von dort auf den Menschen übertragen werden könnten". 1978 hatte dieses Gremium bei der Regierung eine "strenge Lizenzvergabe für die Verarbeitung von tierischem Eiweiß" angemahnt. Die Sorge der Wissenschaftler galt damals nicht BSE, die erstmals Mitte der 80er Jahre auftrat, sondern Erregern wie Salmonellen und anderen Keimen.

Solche Überlegungen waren für die Regierung Thatcher jedoch "nicht mehr zeitgemäß", sie "paßten nicht mehr in das gegenwärtige wirtschaftliche Klima"; es sei "an der Zeit, die Industrie selbst entscheiden zu lassen, wie man am besten ein Produkt hoher Qualität herstelle", hieß es. 1981 unterzeichneten drei Minister eine Anweisung, die die Verfütterung von Tierkörpermehl an Rinder gestattete. Gleichzeitig wurde das Produktionsverfahren von Fleisch und Knochenmehl dereguliert. Die Temperaturen durften nun von mindestens 137 auf 80 Grad Celsius gesenkt werden, und die Hersteller durften auf die chemische Entfettung der Ausgangsmaterialien verzichten. Das war sehr viel billiger, zumindest für den Moment. Daß dieses Vorgehen der Menschheit mit größter Wahrscheinlichkeit den todbringenden BSE-Erreger bescherte, gehört zu den Folgen einer solchen Politik.

Dank dieser Maßnahmen zur Kostensenkung wurde der gefährliche Scrapie-Erreger, der eine BSE-ähnliche Krankheit beim Schaf auslöst und seit zwei Jahrhunderten grassiert, beim Verarbeitungsprozeß nicht mehr abgetötet und im Tierfutter möglicherweise an die Rinder übertragen. Es wird jedoch auch diskutiert, daß BSE bereits unerkannt bei Rindern vorkam und durch die die mangelhaften Verarbeitungsmethoden massiv verbreitet wurde. Vier Jahre nach dieser Deregulierung brach BSE aus.

Doch nun sollte der Wahnsinn erst richtige losgehen. Nun wurden die Tiere, die an BSE verendet waren, auch noch zu Tiermehl verarbeitet und an die Rinder verfüttert! So wurde wider besseres Wissen und entgegen eindringlicher Warnungen aus purem ideologischem Fanatismus von der Regierung Thatcher eine Zeitbombe gezündet. In den zehn Jahren darauf verendeten allein in England 258000 Rinder an BSE, ohne daß die Konservativen irgendetwas unternommen hätten, um die Ausbreitung dieser tückischen Seuche einzudämmen, im Gegenteil. Sämtliche Versuche in der Europäischen Union, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wurden von London hintertrieben. Über den Export von Zuchtvieh wurde BSE in zahlreiche andere Länder verschleppt.

Nach langen Kämpfen setzten einige Mitgliedsländer der EU im Jahre 1989 endlich durch, daß kein Tierkörpermehl an Rinder mehr verfüttert und daß Organe geschlachteter Rinder, in denen der Erreger in großer Zahl gefunden worden war, wie das Gehirn, nicht mehr verwertet werden durften. Das war wenig genug, denn es gab längst Warnungen von Wissenschaftlern, daß BSE nicht nur auf andere Tierarten, wie bereits geschehen, sondern unter Umständen auch auf den Menschen übertragen werden könnte. Doch selbst diese minimalen Auflagen wurden offenbar von den Schlachthöfen und den Knochenmehlfabriken nur schlampig eingehalten, da sie von der Regierung kaum überwacht wurden.

 

Was kostet der Wahnsinn?

Die große Frage ist, was die Regierung Major bewog, den Skandal um BSE jetzt an die Öffentlichkeit zu tragen. Schließlich war der Bericht des wissenschaftlichen Beratergremiums, der diesen jüngsten Skandal auslöste, vertraulich und an die Regierung gerichtet. Daß das britische Kabinett aus Sorge um seine Bevölkerung handelte, darf getrost ausgeschlossen werden. Es müssen also andere Triebkräfte am Werk sein. Ein Grund, so wird von vielen Beobachtern vermutet, liegt in dem hohen Überschuß des europäischen Agraretats. Die brutale Politik der Preissenkungen und Leistungen der Brüssler Kommission gegenüber den Landwirten hat zu einem Überschuß von rund 11 Mrd. DM geführt. Da sich der BSE-Skandal ohnehin nicht mehr sehr viel länger hätte vertuschen lassen, so meinen viele, entschied London, die Nachricht kurz vor dem EU-Gipfel in Turin und solange noch Geld in der Kasse ist, publik zu machen. Denn diese Angelegenheit wird teuer. Der moderateste Vorschlag, sukzessive alle älteren Kühe, dann, wenn sie keine Milch mehr geben, zu schlachten, wird auf mindestens 1,5 Mrd. DM im Jahr für die Dauer von mindestens fünf Jahren veranschlagt. Die Radikalforderung, alle Rinder auf der Insel zu keulen, würde mindestens 45 Mrd. DM kosten. Doch das wäre nur der kleinere Teil der Einbußen. Damit ausgelöscht wäre der britische Milchmarkt, der auf 13 Mrd. DM veranschlagt wird. Außerdem sind direkt rund 350000 Arbeitsplätze vom britischen Rind abhängig.

Der zweite Grund, warum London den BSE-Skandal jetzt bekannt machte, ist die Welternährungslage. Wenn jemand große Hungersnöte provozieren wollte, würde er genauso handeln. Die weltweite Ernährungslage ist ohnehin äußerst angespannt, wie allein die Preissteigerungen für Getreide in den letzten Monaten belegen. Wenn man in solch einer Lage nun noch die Notschlachtung von einigen hunderttausend Rindern provoziert, dann droht aus der Ernährungskrise eine Ernährungskatastrophe zu werden. Denn den Kühen, daran sei erinnert, verdanken wir sehr viel mehr als Fleisch; sie versorgen den Menschen auch mit Milch und allen Produkten, die man daraus gewinnen kann, wie Butter, Käse, Sahne, Joghurt usw. Ganz zu schweigen von den zahllosen anderen Produkten, die wenigstens in einigen Bestandteilen aus dem Rind gewonnen werden, und die von Arzneimittel über Kosmetika bis zu Süßspeisen reichen.

 

Rosa Tennenbaum

Aus ,,Neue Solidarität“ Nr. 14/15 vom 3. April 1996

 


2.) BSE - wie die Globalisierung unser Essen vergiftet
 
 
In Frankreich breitet sich infolge immer weiter steigender Zahlen BSE-infizierter Rinder Panik aus. Auch werden erste Fälle der neuen Variante der tödlichen Creutzfeld-Jakob-Krankheit (nvCJK) gemeldet, die mit dem Verzehr BSE-verseuchten Fleisches in Verbindung stehen soll. Innerhalb kürzester Zeit sank in Frankreich der Verbrauch von Rindfleisch um 40%. Inzwischen hat die Pariser Regierung Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergriffen, die noch vor wenigen Wochen unvorstellbar waren. Auch in Deutschland kam es Ende 2000 zu den ersten BSE-Fällen. Außerdem könnte trotz angeblich strenger Kontrollen BSE-verseuchtes Fleisch auf anderen Wegen ins Land gekommen sein. In Italien und Portugal droht ebenfalls der Ausbruch einer BSE-Epidemie.

Angesichts dieser Lage ist Panik durchaus angebracht - allerdings nicht so sehr wegen BSE und der neuen Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit, die zwar unheilbar ist, doch deren weitere Verbreitung durch geeignete Maßnahmen schnell unter Kontrolle zu bringen wäre. Wovor die Menschen wirklich das Grauen packen sollte, ist die Politik von Globalisierung und Deregulierung, die weltweit die Bedingungen für ein explosives Wachstum neuer und alter Seuchen geschaffen hat. .

 

Wie BSE entstanden ist

Trotz erheblicher Anstrengungen, die Hintergründe von BSE und nvCJK zu klären, sind viele Fragen über Ursprung, Art und Übertragungsweg des Erregers nach wie vor offen. Viele der gesicherten Erkenntnisse deuten allerdings auf gröbste Fahrlässigkeit auf seiten der britischen Behörden und der EU-Bürokratie hin. Das Auftreten der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) in England Mitte der 80er Jahre war mit ziemlicherSicherheit die Folge eines künstlich induzierten Artensprungs einer Schafskrankheit ("Scrapie") auf das Rind. Ganz abgesehen davon, ob diese Entwicklung vorsätzlich herbeigeführt wurde, die Umstände, unter denen sich dieser Artensprung vollzog, war eindeutig die Folge der radikalen neoliberalen Wirtschaftsideologie.

Das erste Auftreten von Scrapie läßt sich bis auf das Jahr 1732 zurückverfolgen, aber trotz wiederholter Epidemien und öffentlicher Proteste in England wurde die Krankheit nie völlig ausgerottet. Die letzte massive Scrapie-Epidemie ereignete sich in den 70er Jahren, und erst 1993 wurde Scrapie in England meldepflichtig.

Schon lange sind den Pathologen große Ähnlichkeiten zwischen Scrapie und der sehr seltenen Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJK) des Menschen bekannt. Bis es Anfang der 90er Jahre zu den ersten Fällen der sogenannten neuen Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit (nvCJK) kam, betrug die Häufigkeit von CJK nur etwa 1:1.000.000 und betraf fast nur ältere Menschen.

Dennoch war spätestens seit Mitte der 60er Jahre bekannt, daß Scrapie auf andere Tierarten überspringen kann, was jüngst auch durch umfangreiche Experimente bestätigt wurde.

1965 wurde in den USA festgestellt, daß Nerze, die Futter erhielten, welches aus Scrapie-infizierten Schafen gewonnen wurde, eine ähnliche Krankheit entwickelten, die als Transmissible Nerz-Enzephalopathie (TNE) bezeichnet wurde. Man stellte fest, daß TNE der natürlich vorkommenden Scrapie-ähnlichen spongiformen Enzephalopathie ähnelte, die man bei Nerzen bereits 1947 gefunden hatte. Nerz-Züchter benutzten verbreitet Futter, das von Tieren unklarer Todesursache stammte, sowie Abfälle der Nahrungsmittelindustrie usw. Da Nerze normalerweise nicht Teil der menschlichen Nahrungskette sind, erscheint hier das Risiko begrenzt.

Aber in Großbritannien kamen Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre mindestens drei Faktoren zusammen, die zwangsläufig einen Artensprung des Scrapie-Erregers zum Rind und von dort in die menschliche Nahrungskette verursachten. Alle drei Faktoren haben mit der schon lange praktizierten Ausbeutung der britischen Landwirtschaft zu tun, ein Zustand, der sich im Vorfeld der Thatcheristischen Wirtschaftspolitik weiter verschärfte.

 

Die drei Faktoren sind:

1. Die verbreitete Verfütterung von Tiermehl bei der Rinderzucht. Dazu wurden Schlachtabfälle und vor allem auch Schafskadaver samt Kopf und Gehirn, wo die höchste Konzentration von Scrapie-Erregern vorkommt, verarbeitet. Da auch Kadaver von Rindern sogar noch nach dem Ausbruch von BSE so verwertet wurden, führte diese Praxis wahrscheinlich zu einer enormen Verstärkung der Epidemie.

2. Die hohe Zahl von Scrapie-Fällen unter Schafen in England infolge der massiven Scrapie-Epidemie in den 70er Jahren. An Scrapie eingegangene Schafe wurden bevorzugt dadurch "entsorgt", daß man sie zu Tiermehl für Rinder verarbeitete.

3. Die Temperatur bei der Herstellung von Tiermehl wurde willkürlich herabgesetzt - offenbar aus Kostengründen. Das hatte zur Folge, daß der Scrapie-Erreger, der höchst widerstandsfähig gegen Wärme-, Strahlungs- und chemische Behandlung ist, nicht inaktiviert wurde.

 In Deutschland sind die Bauern von jeher sehr zurückhaltend, was die Verfütterung von Tiermehl an Rinder und andere Wiederkäuer angeht, die sich vollkommen vegetarisch ernähren und deren Immunsystem dem Verzehr tierischen Eiweißes gar nicht angepaßt ist. In Frankreich wurde dies 1989 verboten, aber vielfach wurde dennoch illegal importiertes Tiermehl aus England verfüttert.

Alle die genannten Faktoren sind von den britischen Behörden zu verantworten, was allein schon eine grobe Fahrlässigkeit bedeutet, um es milde auszudrücken. Aber das ist erst der Anfang der Geschichte.

 

Globalisierte Krankheiten

1984 tauchten in Großbritannien die ersten Fälle einer merkwürdigen neuen Rinderkrankheit auf, die stark an Scrapie erinnerte. Im September 1985 kam die Tierärztin Carol Richardson nach der Untersuchung einiger dieser Fälle zu dem Ergebnis, daß die neue Krankheit zu den spongiformen Enzephalopathien gehört, wie man sie auch bei Schafen, Nerzen und Menschen kannte. Damit war die Bezeichnung BSE geschaffen.

Schon damals hätte jede verantwortungsvolle Regierung auf der Grundlage bekannter epdidemiolgischer Daten Sofortmaßnahmen eingeleitet, um zumindest die Verfütterung von Tiermehl an Rinder zu unterbinden, betroffene Herden zu isolieren und sicherzustellen, daß potentiell verseuchtes Fleisch nicht in die menschliche Nahrungskette gelangt. Aber es war die Blütezeit des Thatcherismus, jener grassierenden Ideologie von Globalisierung und Privatisierung, die die gesamte Welt zu erfassen drohte. Staatliche Eingriffe in die lukrative, zunehmend deregulierte Nahrungsmittelindustrie zum Schutz der Verbraucher waren eindeutig gegen den Zeitgeist, den die Anhänger Margaret Thatchers mit missionarischem Eifer verbreiteten.

Über drei Jahre lang weigerte sich die britische Regierung, BSE überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Erst im Juni 1989, als die BSE-Seuche auf 70000 Fälle pro Jahr angewachsen war und Panik auszubrechen drohte, wurde schließlich die Verwendung von Tiermehl für Wiederkäuer verboten - allerdings nur in Großbritannien selbst. Der Export des kontaminierten Futters in alle Welt ging unvermindert weiter. Hauptabnehmer in der EU war Frankreich. Britisches Rindfleisch wurde außerdem mit Unterstützung der Regierung bis Juli 1991 vor allem in Dritte-Welt-Staaten exportiert.

Die EU-Kommission wartete sogar noch fünf weitere Jahre, bis endlich im Juni 1994 die Verwendung von Tiermehl als Eiweißzusatz bei der Rindermast verboten wurde. In der Zwischenzeit hatte sich die kummulative Zahl der BSE-Fälle in England verfünffacht, und erste Berichte tauchten auf, daß junge Erwachsene an einer atypischen Variante von CJK gestorben waren.

 

Warum wurde die EU nicht früher tätig?

Ein entscheidender Faktor war der Druck britischer Firmen, die mit dem Export von verseuchtem Tierfutter Milliarden umsetzten, sowie die bestimmende Rolle britischer Bürokraten im EU-Apparat. Französische, belgische und andere Geschäftsinteressen im gleichen Bereich kamen noch hinzu. Selbst nach dem EU-Verbot fanden Tausende von Tonnen britisches Tiermehl ihren Weg zu französischen und anderen Rindermästern entweder über den Schwarzmarkt, über Drittländer oder durch Umleitung aus dem nach wie erlaubten Vertrieb von Tiermehl für Schweine, Geflügel und andere Tiere. Erst nachdem jetzt eine öffentliche Panik ausgebrochen ist, haben der französische Präsident Chirac und andere EU-Größen ein Verbot von Tiermehl-Futterzusätzen in der europäischen Landwirtschaft gefordert.

 

Eine neue tödliche Krankheit

nvCJK droht nach HIV/AIDS jetzt zur zweiten großen menschengemachten Seuche zu werden. Bis zum Auftauchen der ersten nvCJK-Fälle verwarfen viele Politiker und sogenannte medizinische Experten in Großbritannien rundheraus die Vorstellung, der Verzehr von Fleisch oder anderer Produkte aus BSE-verseuchten Rindern könnte eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen. Tatsächlich gab es schon vorhergenügend Belege für eine entsprechende Gefahr für den Menschen.

Anfang der 50er Jahre wurde gezeigt, daß zwei Krankheiten, die eine spongiforme Enzephalopathie beim Menschen auslösen - Kuru und die Creutzfeld-Jakob-Krankheit - durch Injektionen infizierter Gehirnsubstanz auf Schimpansen übertragen werden konnten, die dann an ähnlichen Symptomen erkrankten. Es war also bekannt, daß Kuru und CJK übertragbar waren und auch in anderer Hinsicht spongiformen Enzephalopathien von Tieren ähnelten, die nachweisbar auch auf andere Tierarten überspringen konnten. Schließlich gab es die Erfahrung, daß, sobald ein Virus oder ein anderer Krankheitskeim einen Artensprung vollzogen hatte, oftmals eine Art evolutionäre Beschleunigung auftritt, welche das Überspringen auf weitere Arten einfacher und wahrscheinlicher macht.

Vor diesem Hintergrund und erst nach massiven öffentlichen Protesten ergriff die britische Regierung zögerliche Maßnahmen, zumindest die infektiösesten Teile BSE-verseuchter Rinder - Gehirn und Rückenmark - nicht in die menschliche Nahrungskette gelangen zu lassen. Die Chronologie britischer Verbote für sog. "Risikoteile" von Rindern ist bezeichnend:

 

 

Zwei Jahre lang sah die Regierung Thatcher also kein Problem im weiteren Export BSE-kontaminierten Fleisches in die Dritte Welt, obwohl sie längst offiziell eine Gefährdung für britische Kinder erkannt hatte! Tatsächlich weiß niemand, wie viele BSE-kontaminierte Produkte nach wie vor auf den Weltmarkt gelangen, u.a. über den riesigen Markt für Gelatine, die aus Tierknochen gewonnen wird, und andere Fertignahrungsmittel, Arzneistoffe usw.

Heute geht man in Großbritannien von 84 bestätigten nvCJK-Fällen aus, und die Zahl scheint rapide zuzunehmen. nvCJK gehört eindeutig in die gleiche Krankheitsfamilie wie BSE, Scrapie und CJK selbst, unterscheidet sich aber von derklassischen CJK durch das geringe Alter der Betroffenen und das mikroskopische Zerstörungsmuster im Gehirn. Alle Behandlungsversuche sind bisher fehlgeschlagen; wie alle anderen spongiformen Enzephalopathien verläuft auch nvCJK derzeit hundertprozent tödlich. Besorgniserregend ist vor allem die offenbar sehr lange Inkubationszeit von nvCJK, die sich aus der großen Zeitspanne zwischen dem ersten massiven Kontakt britischer Konsumenten mit BSE-kontaminierten Produkten (in den 80er Jahren) und den ersten nvCJK-Fällen 1994 ergibt.

Geht man davon aus, daß nvCJK tatsächlich aus einem Artensprung von BSE auf den Menschen hervorgegangen ist - woran es immer weniger Zweifel geben kann -, erhält ein Artikel in dem Wissenschaftsmagazin Nature vom August 1999 neue Bedeutung, in dem geschätzt wird, daß es in Großbritannien in den kommenden Jahrzehnten zwischen 63000 und 131000 nvCJK-Fälle geben werde. Allerdings räumt der Autor eine große Fehlerspanne ein, besonders wenn die Zahl neuer nvCJK-Fälle schneller als erwartet ansteigen sollte. Genau das ist aber eingetreten. Anstatt der erwarteten 15 neuen Fälle 1999 waren es 17, und dann wurden allein in den ersten drei Monaten 2000 weitere 24 Fälle gemeldet. Nach korrigierten Schätzungen könnte es allein in Großbritannien nun bis zu eine halbe Million Tote durch nvCJK geben. Aber diese Rechnungen gehen davon aus, daß es zu keiner weiteren Belastung mit BSE-kontaminierten Produkten kommt und keine anderen Übertragungswege auftauchen, die dazu führen, daß sich die Epidemie unter den Menschen selbst erhalten kann.

Andere Experimente deuten bereits darauf hin, daß nvCJK durch Blut übertragen werden könnte, und einige Länder haben bereits Vorsorge getroffen, mögliche nvCJK-infizierte Personen als Blutspender auszuschließen.

 

Dr. Jonathan Tennenbaum

Aus ,,Neue Solidarität“ Nr. 48 vom 29. November 2000

 
 

 

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