Indirektes Trauma und Netzhautablösung
Promotionsarbeit (1976)
1.
Einleitung
Die Netzhautablösung nach indirektem
Trauma ist heute noch ein umstrittenes Problem in der Ophthalmologie.
Der Kausalzusammenhang wird zwar seit etwa 80 Jahren diskutiert, doch
konnte noch keine einheitliche Auffassung erreicht werden, wobei
natürlich auch die schwierige Frage der Pathogenese und die
unterschiedliche Bewertung der Disposition eine große Rolle
spielen.(SCHUMACHER).
Neben den indirekten Traumen wie
Kopfprellung und Körpererschütterung wurden auch körperliche und
psychische Belastungen für eine Netzhautablösung verantwortlich
gemacht, abgesehen natürlich von den direkten Traumen, auf die hier
nicht weiter eingegangen werden soll. Weitere Faktoren sind die
unterschiedliche Intensität der Noxen, sowie die Disposition und
Latenzzeit.
In der vorliegenden Arbeit wird versucht, einen
Beitrag zur Netzhautablösung nach indirekten Traumen zu geben. Neben
einer Literaturübersicht zu diesem Thema wird über eigene
Untersuchungen berichtet. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurden nur
solche Patienten ausgewählt, die ein objektiv nachweisbares
indirektes Trauma erlitten hatten und sich zum Zeitpunkt der
Untersuchung deswegen in stationärer Behandlung im
BG-Unfallkrankenhaus Frankfurt/Main befanden. Daher konnte eine
genaue Unfallanamnese erhoben werden, ebenso wurden die Faktoren
Disposition und Latenzzeit berücksichtigt.
Die augenärztliche
Untersuchung der Patienten erfolgte mittels Spaltlampe, Hruby-Linse,
Augenspiegel und Goldmannglas.
2.
Literaturübersicht
2.1. Indirekte
Traumen
Unter indirekten Traumen faßt man alle
Einwirkungen zusammen, die auf den Augapfel einwirken, ohne daß das
Auge dabei selbst berührt· wird (HOLLWICH). Dabei treten bei
solchen plötzlichen Einwirkungen von außen sog. Fluchtbewegungen
der Augen und Anspannen der Augenmuskeln, auch des Ciliarmuskels,
auf, die für die Entstehung einer Glaskörperabhebung und einer
Netzhautrißbildung in einem prädisponierten Auge wichtiger sind als
das. banale Unfallereignis (GOLDMANN). Deshalb kann die zu einer
Netzhautablösung erforderliche Intensität des Unfallgeschehens
relativiert werden. So werden als auslösendes Moment einfache,
alltägliche Ereignisse wie Husten, Stolpern und Erschütterungen bei
Autofahrten bei entsprechender Disposition diskutiert (VOGT).
Derartige Begebenheiten kann man allerdings nicht als Unfall
bezeichnen, denn von solchen Traumen bis zu den physiologischen
Körperbewegungen besteht nur ein kleiner Schritt. Trotzdem muß man
sich fragen, ob es auch ohne das belanglose Trauma zur· Ablösung
gekommen wäre. Auch nach GASTEIGER braucht das äußere Geschehen in
keinem Verhältnis zur Schwere des Effektes zu stehen. Entscheidend
für die Anerkennung des Kausalzusammenhanges sei lediglich der
Nachweis, daß dieses äußere Ereignis erforderlich war, um die
Ablatio zu dem gegebenen Zeitpunkt und in demselben Umfang
auszulösen. GRUBER weist darauf hin, daß bei einer angeblich
traumatisch bedingten Netzhautablösung sehr oft prädisponierende,
degenerative Veränderungen gefunden werden. Da andererseits eine
Ablatio bei Sportlern, deren Augen häufiger mehr oder weniger
schwere indirekte Traumen erleiden, sehr selten auftritt, kommt er zu
dem Schluß, daß die Rolle des indirekten Traumas bei der Ablatio
nicht selten überschätzt wird. Eine ähnliche Meinung wird in der
Literatur noch öfter vertreten und manche Autoren lehnen den
Zusammenhang zwischen indirektem Trauma und Ablatio völlig ab,
bezweifeln ihn zumindest (PERLMANN, LEBER). ENGELKING und HOLLWICH
lassen die Kausalität nur bei disponierten Augen gelten, bei völlig
gesunden Augen äußern sie eine ablehnende Haltung:
"Da
ein indirektes Trauma am gesunden Auge keine Ablatio auszulösen
vermag, spielt für den Eintritt einer Netzhautablösung nicht das
indirekte Trauma, sondern die Dispositian die ausschlaggebende Rolle.
Nur bei rißbereiter Netzhaut führt ein indirektes Trauma zur
Ablatio" (HOLLWICH).
ENGELKING trennt die sog. adäquaten
Ursachen von den inadäquaten. Eine inadäquate Ursache einer
Netzhautablösung wären alle Bewegungen und Körpererschütterungen,
denen der Organismus in physiologischer Weise ausgesetzt ist. Kommt
es aber dennoch zu einer Ablatio, dann war das betroffene Auge
bereits so krank, daß es den gewöhnlichen Belastungen des Lebens
nicht mehr gewachsen war. Eine bestimmte Disposition, z.B. Myopie,
ist dann die adäquate Ursache der Netzhautablösung. In einer
umfangreichen Untersuchung von SCHUMACHER wurden bei 510 Patienten
mit nachgewiesenem Schädeltrauma in nur zwei Fällen eine Amotio
festgestellt, wobei hier noch der Zusammenhang angezweifelt wird. In
Übereinstimmung mit KOCH, SCHAUREN und ENGELKING wird
hervorgehoben, daß Schädeltraumen an sich nicht zur Ablatio führen.
In Einzelfällen wird für die Anerkennung der Netzhautablösung als
Unfallfolge ein außergewöhnliches, heftiges Trauma sowie ein
deutlich zeitlicher Zusammenhang im Sinne der von HOLLWICH
vorgeschlagenen Grenzwerte gefordert. Bei 2631 von ENGELKING nach
einem Trauma untersuchten Patienten wurde keine Amotio festgestellt,
wodurch er es als bewiesen ansieht, daß "schwere
Körpererschütterungen und sogar Schädelverletzungen mit
Dauerschaden an sich nicht zur Netzhautablösung führen".
Einen
zusätzlichen Gesichtspunkt bringt SACHSENWEGER. Seiner Beschreibung
nach führten so entscheidende Faktoren wie Belastungen des Krieges
(Explosion, Verschüttungen), aber auch die Anforderungen des
modernen Leistungssportes und die Bedingungen schwerer Berufsarbeit
nicht zu einer erhöhten Anzahl von Netzhautablösungen. Bei den in
der Literatur beschriebenen Einzelfällen lehnt er eine Beweiskraft
im Zusammenhang von Traumen und Ablatio ab. Er kommt zu dem Schluß,
"daß indirekte Traumen nur dann als Ursache von
Netzhautablösungen angesehen werden können, wenn dabei
Knochenfrakturen im Schädel oder eindeutige Commotiones,
präcommotionelle Zustände ausgenommen, bei dem Unfall aufgetreten
sind".
Allgemein werden als indirekte Traumen
Kopfprellungen, Körpererschütterungen und körperliche Überlastung
angesehen. Die Körpererschütterung als Ursache für eine Ablatio
wird bei HQLLWICH von den Kopftraumen unterschieden und getrennt
betrachtet. Die meisten Autoren sehen in beiden eine Einheit und
grenzen sie lediglich von der körperlichen Belastung ab. Da bei
einer Netzhautablösung nach einem Unfallgeschehen das Moment der
körperlichen Belastung potenzierend hinzutreten kann, wird zu diesem
Thema noch eine Literaturübersicht gegeben. Netzhautablösungen nach
erheblicher körperlicher Überanstrengung wurden von JAENSCH,
GASTEIGER und HOLLWICH beschrieben. Dabei wird jedoch die
Schwierigkeit gesehen, zu definieren, was eine körperliche
Überlastung ist und wie sie sich auswirkt. Ein ursächlicher
Zusammenhang wird in dem Blutandrang zum Kopf und der sich daraus
ergebenden Erhöhung des Augeninnendruckes gesehen. Da man jedoch
insgesamt den Mechanismus des Zustandekommens einer Amotio infolge
starker körperlicher Belastung nicht kennt, würde man nach ZUR
NEDDEN zu weit gehen, wenn man diese grundsätzlich als Ursache einer
Netzhautablösung ablehnen wollte. Ähnlich äußern sich Autoren wie
JAENSCH, HOLLWICH und MÜLLER, die bei disponierten Augen
grundsätzlich die Kausalität anerkennen, wobei aber gefordert wird,
daß die körperliche Anstrengung das sonst übliche Maß übersteigen
muß. HOLLWICH beschränkt sich dabei nicht nur auf ein
"Einzelgeschehen" im Sinne einmaliger übermäßiger
Kraftanstrengung und schließt nicht aus, daß bei rißbereiter
Netzhaut ihre Durchblutung durch die zunehmende Ermüdung ungünstig
beeinflußt wird. Für SACHSENWEGER ist die körperliche Anstrengung
als Ablatioursache fragwürdig: "Körperlich schwer Arbeitende,
darunter auch Disponierte, werden keinesfalls häufiger von
Netzhautablösungen heimgesucht als Patienten, die in Berufen ohne
schwere körperliche Belastung tätig sind". Zusammengefaßt
kann also gesagt werden, daß die Kausalität zwischen indirektem
Trauma wie Kopfprellung, Körpererschütterung und körperlicher
Belastung und Netzhautablösung sehr vorsichtig beurteilt werden muß.
Als entscheidender Faktor gilt zweifellos die Disposition, weshalb
auch die Grenze zwischen idiopathisch und traumatisch bedingter
Netzhautablösung nicht zu definieren ist. Nur wenn dem Riß einer
gesunden Netzhaut und der nachfolgenden Ablatio ein erhebliches, über
das physiologische Maß hinausgehendes Trauma vorangeht, ist eine
Kausalität anzuerkennen. In anderen, weniger unfallintensiven Fällen
muß die Disposition so erheblich sein, daß man von einer kranken
Netzhaut reden kann, die physiologische Belastungen auszuhalten nicht
mehr im Stande ist. Insgesamt bleibt ein Unsicherheitsfaktor, der im
Einzelfall die Anerkennung einer unfallbedingten Netzhautablösung
berechtigt.
2.2. Disposition
Nach
GASTEIGER bedeutet Disposition, daß ein Organ oder Organanteil der
Gefahr einer bestimmten Erkrankung in erhöhtem Maße ausgesetzt ist.
Es besteht also eine gewisse Neigung zu Krankheitserscheinungen,
wobei der Grad der Disposition individuell und im Einzelfall nicht
feststellbar ist (ZUR NEDDEN, GASTEIGER, SACHSENWEGER). Das bedeutet
also, daß ein bei einem gesunden Auge folgenlos gebliebenes
Unfallgeschehen somit bei einem disponierten Bulbus
pathologischeVeränderungen hervorrufen kann, wobei aber nicht das
Trauma die ausschlaggebende Rolle spielt, sondern ausschließlich die
disponierenden Faktoren. "Nur bei rißbereiter Netzhaut führt
ein indirektes Trauma zur Ablatio (HOLLWICH). Als disponierende
Faktoren für eine Ablatio werden in erster Linie die Myopie, Senium
und Erkrankungen wie Luxatio lentis, Aphakie und Katarakt angesehen.
Somit können die unterschiedlichsten. Traumen jeglicher Art zu einer
Ablatio führen. Ubereinstimmend wird aber auch erkannt, daß die
übergroße Mehrzahl der sog. Disponierten selten, auch nicht nach
Unfällen, an einer Netzhautablösung erkrankt. Vorschläge, den
Begriff Disposition" fallen zu lassen, haben nach SCHUMACHER im
Schrifttum keine Zustimmung gefunden.
2.2.1.
Myopie
Fast übereinstimmend wird in der Literatur die
Myopie als ein für die Netzhautablösung wichtiger Faktor angesehen.
Das myope Auge gilt deshalb zur Ablatio disponiert, weil eine
periphere Degeneration der Netzhaut und Minderwertigkeit der Gewebe
gefunden wird. Die Überdehnung der Netzhaut an umschriebener Stelle
bei fortgeschrittener Ektasie des Bulbus wird heute als
Ablatioursache nicht mehr verantwortlich gemacht. VOGT stellte fest,
daß die myopischen Zerfallserscheinungen nicht während des sog.
Dehnungsprozesses auftreten, sondern erst Jahre oder Jahrzehnte
später. Als pathologische Veränderungen des myopen Auges gelten
Verdünnungen der hinteren Skleraabschnitte, zirkumpapilläre
Aderhautatrophie, Rarefikation der Aderhaut, Sklerose der
Chorioidalgefäße, Pigmentverschiebungen, Maculablutungen, periphere
zystoide Degenerationen und Atrophie der Netzhaut, Verflüssigung des
Glaskörpers, hintere Glaskörperabhebung mit Kollaps u.a. 1m
Schrifttum findet man eine deutliche Zunahme von Netzhautablösungen
nach Traumen bei myopen Augen. BRINKHORST, BÖHRINGER und THIEL
stellen fest, daß mit dem Grad der Myopie die Zahl der
Erkrankungsfälle ansteigt, andere Autoren halten die mittleren Grade
der Myopie (6 - 12 -15 dptr.) für besonders disponiert (JAENSCH,
AMSLER). THIEL findet in einer Untersuchung von 721 Patienten mit
Netzhautablösung als häufigsten disponierenden Faktor die Myopie
mit 44,5 %. Genet kommt in seiner Zusammenstellung "Über
relative und absolute Häufigkeit der Netzhautablösung bei Myopie"
zu dem Schluß, daß die Amotio retinae bei Normal- und
Weitsichtigkeit seltener zu erwarten ist, bei Kurzsichtigkeit jedoch
etwa acht mal häufiger als bei Normal- und Weitsichtigkeit.
2.2.2.
Senium
VOM HOFE berichtet, daß die Zahl der
Netzhautablösungen mit steigendem Alter, besonders aber nach dem 50.
Lebensjahr zunimmt, auch ohne Vorliegen einer wesentlichen Myopie.
Dies wird auch von einer Mehrzahl anderer Autoren bestätigt. Die
beim senilen Auge für eine Ablatio verantwortlichen pathologischen
Prozesse sind denen beim myopen Auge annähernd gleichzusetzen. VOGT
spricht von "Berührungspunkten der senilen und myopischen
Bulbusdegeneration". Andererseits gelten gewisse
Degenerationsmerkmale wie z.B. die hintere Glaskörperabhebung mit
Kollaps sowie eine partielle zystoide Degeneration als nahezu
altersphysiologisch (BARTELS, HEINZEN), da sie besonders im Senium
gehäuft aufzutreten pflegen. Eine Kombination sowohl anlagemäßig
bestehender Veränderungen als auch degenerativer Erscheinungen kann
auftreten, was mit Sicherheit als pathologisch angesehen werden kann
und im Hinblick auf eine Ablatio, besonders nach Traumen, eine
verstärkte Disposition darstellt.
2.2.3. Andere
Faktoren
Zusätzlich werden weitere pathologische
Veränderungen genannt, die auch selbständig, ohne Kombination mit
Myopie oder Senium, eine zur Ablatio führende Disposition
darstellen. Diese Faktoren sind besonders Luxatio lentis, Aphakie und
Katarakt, aber auch partielle Verdünnungen der Sklera.
2.3.
Latenzzeit
Kommt es am disponierten Auge nach einem
Trauma zu einer Ablatio, dann verstreicht eine gewisse Zeitspanne,
die sog. Latenzzeit, bis die Netzhautablösung manifest wird
(HOLLWICH 69). In der Bewertung dieser Zeitspanne und der sich u.U.
daraus ergebenden Kausalität zwischen Unfallgeschehen und Ablatio
äußern sich die Autoren unterschiedlich. ENGELKING sieht selbst
nach einem halben und sogar nach einem ganzen Jahr noch einen
zeitlichen Zusammenhang zwischen indirektem Trauma und
Netzhautablösung. FANTA, KREIBIG, LIEHN und SAUTTER fordern kürzere
Zeiträume, können aber eine einheitliche Latenzzeit nicht angeben.
Daher versuchte HOLLWICH in seiner Arbeit "Grenzwerte zu
ermitteln, die als Richtlinien für die gutachterliche Beurteilung
dienen können". Aus einer Aufstellung von 2750
Netzhautablösungen konnten in 358 Fällen ein direktes Trauma und in
313 Fällen ein indirektes Trauma festgestellt werden, wobei im
einzelnen folgende Zahlen angegeben werden: körperliche
Überanstrengung 130, Körpererschütterung 39, Kopfprellung 72
Fälle. Diese Untersuchung legte HOLLWICH seiner statistischen
Auswertung zugrunde, nach der sich folgende Mittelwerte der
Latenzzeit einer Netzhautablösung nach einem indirekten Trauma
ergeben.
Art des Traumas |
Sehstörung |
Ablatiofeststellung |
Überanstrengung |
nach 1.3 Tg |
nach 9.0 Tg |
Kopfprellung |
nach 7.4 Tg |
nach 21.4 Tg |
Körpererschütterung |
nach 6.7 Tg |
nach 22.3 Tg |
Tabelle 1: Latenzzeit zwischen
indirektem Trauma und Diagnose der Amotio retinae.
HOLLWICH
schließt daraus: Ein indirektes Trauma kommt als die überwiegend
wahrscheinliche Ursache einer Netzhautablösung dann in Betracht,
wenn die Feststellung der Ablösung innerhalb folgender Latenzzeiten
liegt:
Überanstrengung nach |
14 Tagen |
Kopfprellung und Körpererschütterung nach |
6 Wochen |
Tabelle 2: Grenzwerte der
Latenzzeit nach HOLLWICH
Bei Überschreiten dieser
Grenzwerte sei ein Unfallzusammenhang nach HOLLOWICH nur dann
vertretbar, wenn entsprechend vorbestehende Sehstörungen im Sinne
von Brückensymptomen oder Hinderungsgründe für eine rechtzeitige
Feststellung der Netzhautablösung vorliegen. SACHSENWEGER erkennt
nur solche Ablationen als Folge von indirekten Traumen an, die bald
(einige Wochen) nach dem Vorfall auftreten, es sei denn, daß
eindeutige Brückensymptome oder andere Zeichen eines Zusammenhanges
vorhanden sind.
Insgesamt kann man also feststellen, daß der
Latenzzeit im Hinblick auf eine unfallbedingte Netzhautablösung eine
entscheidende Rolle beigemessen wird. Nach HOLLWICH ist sie das
wichtigste Glied in der Beweisführung überhaupt, besonders auch
deswegen, da die Bestimmung der übrigen Faktoren wie Art und Schwere
des Traumas und der Grad der Disposition eine gewisse Unsicherheit
bergen (SCHUMACHER).
2.4. Pathogenese der
Netzhautablösung
Die Netzhaut ist nur an der Ora
serrata und an der Papille fest mit ihrer Unterlage verbunden,
deshalb kann sie aus verschiedenen Gründen von dieser abgezogen oder
abgedrängt werden. Der Ablösung der Retina geht in der Regel eine
Abhebung des Glaskörpers von der Netzhaut voran, wobei einzelne
Verbindungen zwischen beiden Gebilden bestehen bleiben, die dann bei
Schleuderbewegungen ein Einreißen der Netzhaut verursachen
(JAENSCH). Wenn durch diese Risse Glaskörperflüssigkeit hinter die
Netzhaut dringt, kann es zur Abhebung kommen (JAENSCH,
HEINZEN).
TENG demonstriert und bestätigt an Hand von
zahlreichen anatomischen Präparaten aus der Augenbank, daß
Glaskörperverflüssigung, hintere Glaskörperabhebung und Adhäsion
mit der Netzhaut die Hauptfaktoren zur Entstehung einer
Netzhautablösung sind. PAN erwähnt die embryonalen
Glaskörperblutgefäße, die nach ihrer Obliteration sich zu
Glaskörperfibrillen ausbilden, welche u.U. in mehreren Schichten
oraparallel zwischen Ora serrata und Äquator an der Netzhaut
ansetzen können, wo es offenbar durch den intermittierenden Zug des
Glaskörpers bei entsprechender Disposition zu einer lokalen
Netzhautschädigung mit Rarefizierung der Kerne kommen kann. Danach
entsteht eine Gewebeneubildung, wobei die Netzhaut an umschriebener
Stelle aufgelockert erscheint. Hier erfolgt dann der Einriß durch
einen plötzlichen Zug der Glaskörperfibrillen.
Auch JAENSCH
betont, daß einzelne an der Netzhaut haftende Glaskörperstränge
und Schleuderbewegungen des verflüssigten Glaskörpers die
eigentliche Ursache zum Netzhautriß darstellen.
Der
Netzhautriß gilt, unabhängig von der Disposition, als das primär
zur Ablatio führende Ereignis. Nach einer Aufstellung von SCHUMACHER
wird in etwa 80% der Ablatiofäl1e ein Riß gefunden, wobei der
temporale obere Quadrant als Prädilektionsstelle gilt.
Über
die Pathogenese des Netzhautrisses gelten verschiedene Ansichten,
wobei von den Autoren meist mehrere, oft sich kombinierende Faktoren
angegeben werden, die "zu einer ganz bestimmten Konstellation
zusammentreffen müssen, damit eine Netzhautablösung erfolgt"
(HEINZEN). Danach gelten degenerative Veränderungen, Sklerose und
Atrophie der Retina, weiterhin vitreoretinale Adhärenzen als Ursache
für die Entstehung eines Netzhautrisses.
3. Eigene
Untersuchungen
3.1. Methode
Um zu
dem umstrittenen Problem der Netzhautablösung einen Beitrag zu
leisten, wurde eine größere Zahl unfallgeschädigter Patienten
einer genauen ophthalmologischen Untersuchung unterzogen. Dabei wurde
von der Forderung ausgegangen, daß sowohl Art und Schwere des
Traumas exakt nachzuweisen sein sollten, als auch Latenzzeit und
Disposition abgeklärt werden mußten; weiterhin erforderlich war
eine eingehende ophthalmologische Untersuchung. Somit stellten sich
folgende Bedingungen:
Auswertung der Krankengeschichte des Patienten und anderer Unterlagen nach Art und Schwere des Traumas und den klinischen Folgen.
Untersuchung der Patienten mit Spaltlampe, Hruby-Linse und Goldmannglas, außerdem Bestimmung der Refraktion.
Diese Bedingungen fanden wir am
BG-Unfallkrankenhaus Frankfurt am Main. Unsere Untersuchung stützt
sich auf eine Gesamtzahl von 116 Fällen mit gesichertem indirektem
Trauma unterschiedlicher Intensität.
Methodisch wurde so
vorgegangen, daß die Durchgangsarztberichte, Anamnesen und
klinischen Befunde der nach einem Unfall aufgenommenen Patienten
durchgesehen wurden. Somit konnte schon eine bestimmte Auswahl
getroffen werden, d.h. es kamen nur solche Patienten zur
Untersuchung, welche ein erhebliches Trauma im Sinne einer Kopf-
und/oder Körperprellung erlitten hatten. Im persönlichen Gespräch
mit den Kranken konnten weitere Fakten ermittelt werden, wie
berufliche Disposition, evtl. bestehende Vorerkrankungen der Augen
und familiäre Disposition. Außerdem erfolgte eine erste
orientierende Augenuntersuchung am Krankenbett. Nach Besserung des
Allgemeinbefindens, was meist mehrere Wochen bis Monate dauerte,
wurde die ophthalmologische Untersuchung an sitzenden Patienten mit
Spaltlampe und Goldmannglas vorgenommen.
3.2.
Patientengut
Von den 116 untersuchten Patienten waren
97 männlichen, 19 weiblichen Geschlechts. Das auffallende überwiegen
der Männer in dieser Aufstellung ist bedingt durch die
berufsabhängige Exposition zu Unfällen bei Schwerarbeitern. Die
Geschlechtsrelation bei den Verkehrsunfällen war annähernd
ausgeglichen.
Patienten insgesamt: |
116 |
davon männlich: |
97 |
davon weiblich: |
19 |
Tabelle 3: Geschlechterrelation der
untersuchten Patienten.
Das Alter der Patienten bezieht sich
auf den Tag des Unfallgeschehens. Der jüngste Patient war 19, der
älteste 67 Jahre alt. Das 50. Lebensjahr hatten insgesamt 26
Patienten (22,4 %) überschritten, was im Hinblick auf die
Altersdisposition als wichtiger Faktor zu werten ist.
15 - 25 Jahre: |
23 Patienten |
26 - 35 Jahre: |
28 Patienten |
36 - 50 Jahre: |
39 Patienten |
über 50 Jahre: |
26 Patienten |
Tabelle 4: Altersrelation der
untersuchten Patienten.
Zusätzlich wurde auch die körperliche
Belastung im Rahmen der Berufsausübung berücksichtigt. Unter den
Untersuchten fanden sich insgesamt 18 männliche Patienten mit einer
berufsbedingten übermäßigen körperlichen Belastung, so daß diese
allein schon als ein zur Netzhautablösung disponierender Faktor
gelten kann. In Kombination mit dem Unfallgeschehen, das bei diesen
18 Patienten erheblich war, liegt damit ein ausgeprägter
Dispositionsgrad vor; ein Patient war durch Senium und hochgradige
Myopie zusätzlich gefährdet.
Die körperliche Belastung im
Sinne einer Disposition fand sich bei einigen Patienten aus folgenden
Berufsgruppen:
Arbeiter |
10 Patienten |
Monteure |
3 Patienten |
Maurer |
2 Patienten |
Zimmermann |
2 Patienten |
Bergmann |
1 Patienten |
Tabelle 5: Berufliche Disposition
Der Anteil der myopen Fälle in
unserem Untersuchungsgut betrug insgesamt 11 Fälle, das sind 9,6 %,
und dürfte auch in etwa dem prozentualen Anteil der Myopen in der
Gesamtbevölkerung entsprechen.
Eine Disposition durch Myopie
war somit in 11 Fällen gegeben, wobei 4 Patienten eine Myopie von
-10 bis -27 dpt. aufwiesen, die übrigen -2 bis -9 dpt.
Eine
Kombination.des disponierenden Faktors "Alter" (über 40
Jahre) mit dem disponierenden Faktor "Myopie" war bei 6
Patienten vorhanden.
Zusammenfassend zeigt sich also, daß von
den 116 Patienten 48 Fälle disponierende Faktoren aufwiesen.
Dispositionsfaktor Alter |
36 Patienten |
Dispositionsfaktor Myopie |
5 Patienten |
Dispositionsfaktor Alter + Myopie |
6 Patienten |
Dispositionsfaktor Alter + Myopie + Belastung |
1 Patienten |
Tabelle 6: Dispositionsfaktoren
Eine zusätzliche Disposition ergab
sich bei diesen Patienten durch degenerative, meist altersbedingte
Augenerkrankungen, welche auch noch bei 32 weiteren Patienten
gefunden wurden.
Nur 36 Patienten aus dem Gesamtkollektiv
wiesen keine nachweisbaren Dispositionsfaktoren auf, d.h. bei diesen
bestanden weder Myopie noch Senium oder degenerative Erscheinungen,
auch keine körperliche Belastung.
Die Anamnese der Patienten
zeigte, daß in den meisten Fällen keine zusätzlichen früheren
Unfälle nachzuweisen waren. Bei insgesamt 11 Patienten ließen sich
jedoch weitere, teilweise erhebliche Traumen mit klinischen Folgen
ermitteln.
2 Unfälle |
bei 7 Patienten |
3 Unfälle |
bei 1 Patienten |
4 Unfälle |
bei 2 Patienten |
5 Unfälle |
bei 1 Patienten |
Tabelle 7: Mehrfachtraumen
Als
Beispiel sei ein Patient mit 5 Traumen genannt, G. E., geb. am
6.8.1949
1959 Commotio und Stirnplatzwunde nach Kopfprellung.
1961
Commotio nach Sturz auf den Hinterkopf aus etwa 3 m Höhe.
1966
Commotio und Kopfverletzung bei Motorradunfall.
1966 Commotio bei
erneutem Verkehrsunfall.
1971 Mittelhandbruch nach
Körpererschütterung.
Als weiteres Beispiel ein Patient
mit 4 Unfällen, Z.K., geb. am 4.3.1933
1945 Stirnplatzwunde nach
Kopfprellung.
1960 Commotio nach Motorradunfall.
1962 Commotio
nach Motorradunfall.
1971 Stirnverletzung und Oberschenkelfraktur
nach Autounfall, Verdacht auf Commotio.
Ein Patient mit 2
Unfällen, R.H., geb. am 25.4.1934
1953 Commotio nach Verschüttung
im Bergwerk.
1971 Unterschenkeltrümmerbruch und Symphysenruptur
und Kopfverletzung nach Verkehrsunfall.
3.3. Art und
Schwere der Traumen
Was waren nun die äußeren
Faktoren, die die Patienten ins Unfallkrankenhaus gebracht hatten?
Wir versuchten eine Einteilung vorzunehmen in reine Kopftraumen, in
Körpererschütterungen und Kombination aus beiden.
Somit
ergibt sich folgende Situation:
Reine Kopftraumen |
12 Patienten |
Körpererschütterungen |
64 Patienten |
Beide kombiniert |
40 Patienten |
Tabelle 8: Art der
Traumen
Außerdem wird versucht, die Unfallursachen zu
differenzieren und eine Einteilung vorzunehmen.
Art der Unfälle |
Patientenzahl |
Verkehrsunfall im Auto |
19 |
Aus dem Auto geschleudert |
8 |
Als Fußgänger oder Radfahrer vom Auto angefahren |
25 |
Gegenstand auf den Kopf gefallen |
7 |
Aus einer bestimmten Höhe gefallen (3 - 15 m) |
26 |
Zu Boden gerissen, gestürzt |
15 |
Andere Ursachen |
16 |
Tabelle 9: Unfallursachen
Der
Schweregrad der Traumen war in jedem Fall erheblich und stellte ein
außergewöhnliches Ereignis dar, die normale physiologische
Belastungsgrenze wurde damit überschritten. Wenn auch im Schrifttum
vereinzelt banale Ereignisse genannt werden, die zu einer Ablatio
geführt haben sollen, wollten wir diesen Unsicherheitsfaktor
ausschließen und wählten daher nur ernste Unfallereignisse aus, die
zudem mit den klinischen Folgen korrelieren mußten.
Insgesamt
wurden folgende Unfallschäden gefunden, wobei in vielen Fällen
mehrere Krankheitsbilder bei jeweils einem Patienten auftreten
konnten.
Erkrankung |
Anzahl insgesamt |
Hirnkontusionen |
4 mal |
Schädelfrakturen |
7 mal |
Commotiones |
27 mal |
Kopfplatzwunden |
25 mal |
Wirbelbrüche |
18 mal |
Beckenbrüche |
7 mal |
Rippenfrakturen |
8 mal |
Extremitätenfrakturen |
51 mal |
Tabelle 10: Unfallfolgen
Bei
diesen Erkrankungen kann geschlossen werden, daß erhebliche
Erschütterungen im Kopfbereich aufgetreten sind, auch bei den
Patienten, die keine Kopfverletzungen davongetragen haben.
3.4.
Zeitraum zwischen Unfall und Untersuchung
Der Zeitraum
zwischen dem Unfallereignis und dem Termin unserer Untersuchung
betrug im Durchschnitt 8 Wochen. Eine teilweise kürzere Zeitspanne
erklärt sich durch krankenhausbedingte Umstände, wie z.B.
Entlassung. Dreizehn Patienten wurden erst nach über einem bis zu
fünf Jahren untersucht, bei zehn Patienten erfolgte die Untersuchung
erst nach fünf Jahren. Hierbei handelte es sich um Patienten, die
wegen eines länger zurückliegenden Unfalles schon einmal hier
stationär untersucht und behandelt und jetzt einer stationären
Nachuntersuchung unterzogen wurden oder aber wegen eines erneuten
Unfalles zur Aufnahme kamen. Für unsere Untersuchung war das
schwerere, erste Trauma relevant.
Die von HOLLWICH angegebene
Latenzzeit von 6 Wochen wurde also in vielen Fällen überschritten.
Untersuchung nach dem Unfall |
|
bis zu 6 Wochen |
20 Patienten |
bis zu 12 Monaten |
73 Patienten |
bis zu 5 Jahren |
13 Patienten |
über 5 Jahren |
10 Patienten |
Tabelle 11: Zeitraum zwischen
Unfall und Untersuchung
Sehstörungen, die auf eine Ablatio
hinweisen, erfolgen nach HOLLWICH bei einem indirekten Trauma im
Durchschnitt nach 7 Tagen.
3.5. Augenbefunde
Die
Auswertung der ophthalmologischen Untersuchung der 116 Patienten
erbrachte folgende Ergebnisse. Glaskörperbefunde und Fundusbefunde
werden getrennt behandelt.
Glaskörperbefunde |
Patientenzahl |
Normaler Glaskörper |
44 |
Geringe bis mäßige Destruktionen |
50 |
Abnorme Befunde mit stark verflüssigtem Glaskörper; peripheren, vitreoretinalen Adhärenzen oder mit hinteren Glaskörperabhebungen |
21 |
Tabelle 12: Glaskörperbefunde der
untersuchten Patienten
Somit wiesen also 21 Patienten (18,1 %)
aus unserem Gesamtkollektiv ernsthafte pathologische Veränderungen
des Glaskörpers auf. Bei den übrigen Patienten bestanden entweder
ganz normale Glaskörperbefunde oder im Normbereich liegende
altersphysiologische Veränderungen. Einen pathologischen Glaskörper
und eine zusätzliche Myopie wiesen insgesamt 4 Patienten auf, die
übrigen sieben Myopien aus unserem Krankengut zeigten fädige
Destruktionen geringen Ausmaßes.
Bei den Fundusbefunden
erwies es sich wegen der häufigen Rechts- und Linksdifferenzen als
zweckmäßig, nach der Anzahl der Augen und nicht nach Patienten
einzuteilen. Bei 116 Kranken wurden 230 Augen untersucht.
Von
diesen 230 Augen wiesen 154 Augen (77 Patienten) einen "normalen"
Fundus auf.
Insgesamt 76 Augen von 39 Patienten zeigten
teilweise erhebliche pathologische Krankheitsbilder, die als
disponierende Veränderungen angesehen werden können.
Im
Einzelnen fanden sich folgende Veränderungen:
Chorioretinale Herde |
19 mal |
Pflastersteindegeneration und senile Entartung |
10 mal |
Schneckenspuren |
9 mal |
Zystoide Degeneration mit kleinen Rundlöchern |
8 mal |
Kleine, periphere Retinochistis |
4 mal |
Periphere Rundlöcher mit Deckel |
2 mal |
Feine, periphere Netzhautrisse mit abstehender Zunge |
2 mal |
Tabelle 13: Fundusveränderung bei
76 untersuchten Augen
Bei keinem der untersuchten
Patienten, auch nicht bei den stark Disponierten, konnte ein
Hufeisenriß gefunden werden, auch keine beginnende oder manifeste
Amotio retina.
4. Auswertung
116
Patienten wurden nach einem zumeist schweren Unfall augenärztlich
untersucht. Das traumatische Geschehen übertraf in jedem Fall die
normale physiologische Belastbarkeit, so daß allein aufgrund des
Unfallgeschehens bei entsprechender Disposition Netzhautablösungen
zu erwarten gewesen wären. Disponierende Faktoren fanden sich in der
Mehrzahl der Fälle in Form von Myopien, Senium und degenerativen
Erkrankungen, aber auch Mehrfachtraumen und körperliche Überlastung,
teilweise sogar untereinander kombiniert auftretend.
Insgesamt
ließen sich bei 86 Patienten aus unserem Krankengut disponierende
Faktoren der oben genannten Art nachweisen. Nur 30 Patienten konnten
in keiner Art und Weise als disponiert gelten.
Hier eine
Aufstellung der Dispositionsfaktoren:
Myopie |
bei 11 Patienten |
Senium |
bei 42 Patienten |
Ausgeprägte degenerative Prozesse |
bei 52 Patienten |
Mehrfachtraumen |
bei 11 Patienten |
Überlastung |
bei 18 Patienten |
Tabelle 14:
Dispositionsfaktoren
Die Addition dieser Fälle ergibt eine
höhere Summe als. 86, da einige Patienten eine doppelte oder
dreifache Disposition aufwiesen. Bei diesen Fällen hätte man am
ehesten mit einer posttraumatischen Ablatio rechnen müssen, doch
auch hier konnte weder ein Hufeisenriß noch eine beginnende oder
manifeste Amotio gefunden werden.
5. Diskussion
Die
von uns erhobenen Befunde und Untersuchungsergebnisse lassen
erkennen, daß Netzhautablösungen nach indirekten Traumen, auch bei
Disponierten, anscheinend nur sehr selten auftreten. Insofern besteht
eine gewisse Übereinstimmung mit Veröffentlichungen von ENGELKING,
ZUR NEODEN, LIESENHOFF und SCHUMACHER. Danach ist die
Netzhautablösung nach einem indirekten Trauma. ein äußerst
seltenes Ereignis, wobei immer die Frage gestellt werden muß, ob das
Unfallereignis überhaupt nötig gewesen ist, um die Ablatio
herbeizuführen, oder ob diese auch spontan zu einem anderen
Zeitpunkt aufgetreten wäre.
Es wird jedoch auch darauf
hingewiesen, daß indirekte Gewalteinwirkungen sich in beträchtlichem
Ausmaß auf das Bulbusinnere übertragen und speziell auch die
Netzhaut schädigen können (SCHUMACHER). Andererseits ist das
gesunde Auge in der Lage, eine größere, über den Normbereich
gehende Belastung zu tolerieren und ohne eine krankhafte Veränderung
zu reagieren. Somit liegt die Vermutung nahe, daß endogene
Eigenschaften des Auges in der Genese der Ablatio eine entscheidende
Rolle spielen, unabhängig davon, ob und welche disponierenden
Faktoren gefunden werden. Trotz Myopie, senilen oder degenerativen
Prozessen muß nach einem indirektem Trauma eine Netzhautablösung
nicht zwangsläufig die Folge sein; falls diese jedoch auftreten
sollte, wird eine endogene Bereitschaft des Auges zur
Netzhautablösung diskutiert und gefordert. Gerade auch für
emetrope, nicht disponierte Augen müßte diese Forderung zutreffen,
hier ist eine durch ein indirektes Trauma entstandene
Netzhautablösung besonders kritisch zu bewerten. Wenn die Meinung in
der Literatur vertreten wird, daß ein Kausalzusammenhang nur bei
exorbitanten Traumen angenommen werden kann, so muß man sich
andererseits fragen, ob in diese Fällen nicht zum physikalischen
Moment der Erschütterung zusätzliche Faktoren erwogen werden
müssen, wie kurzfristige Ischämie oder die Einwirkung traumatisch
an anderer Körperstelle entstandener toxischer Gewebesubstanzen, die
mit dem Blutkreislauf zirkulieren.
Unsere bisherigen
Untersuchungen sprechen also dafür, daß für das Auftreten einer
Amotio retinae ohne direktes Augentrauma die Disposition eine
Schlüsselrolle spielt, die kausale oder zusätzliche Bedeutung
indirekter Traumen ist bis jetzt nicht ersichtlich. So könnte man
davon ausgehen, daß eine nach einem Unfall eingetretene
Netzhautablösung auch ohne dieses Unfallgeschehen aufgetreten wäre,
sie hätte mit dem Unfall lediglich die Zufälligkeit des zeitlichen
Zusammentreffens gemeinsam: gegebenenfalls könnte man noch
einräumen, daß das drohende Ereignis der Amotio durch das Trauma in
seinem Eintreten beschleunigt wurde.
Wir glauben, daß die
Aussagekraft unserer Untersuchung hinsichtlich des traumatischen
Geschehens und der ophthalmologischen Untersuchung eindeutig ist, da
sowohl eine genaue Erhebung des Unfallherganges und der Auswirkungen
ermittelt werden konnte, als auch die Patientenuntersuchung mittels
Spaltlampe, Hruby-Linse, Augenspiegel und Goldmannglas optimal
durchgeführt werden konnte: weiterhin wurden die in der Literatur
gestellten Forderungen hinsichtlich Disposition und Latenzzeit
berücksichtigt. Andererseits wird nicht verkannt, daß die
untersuchte Patientenzahl relativ gering ist. Das erklärt sich durch
die recht begrenzte Patientenauswahl und die langwierige Untersuchung
jedes Einzelnen, wobei meist noch technische Schwierigkeiten in Form
von Gipsverbänden, Schienen oder Rollstühlen hinzukamen.
Weitere
Untersuchungen sind also notwendig, vielleicht auch in der Weise, daß
man die Unfallanamnese eines größeren Kollektives
Netzhauterkrankter mit einem entsprechenden Kollektiv Augengesunder
vergleicht: die Frage wäre dann, ob bei den Ablatiofällen eine
statistisch höhere Unfallzahl als bei den Augengesunden vorgefunden
wird.
6. Zusammenfassung
In der
vorliegenden Arbeit wird versucht, die Problematik der
Netzhautablösung nach indirekten Kopf- und/oder Körpertraumen zu
behandeln.
Der erste Teil der Arbeit gibt eine Zusammenfassung der
wichtigsten Literatur zu diesem Thema. Erörtert werden besonders die
Art der indirekten Traumen, Disposition, Latenzzeit und Pathogenese
der Netzhautablösung. Die Kausalität zwischen indirektem Trauma und
Netzhautablösung wird insgesamt in der Literatur unterschiedlich
beurteilt.
Im zweiten Teil der Arbeit wird über eigene
Untersuchungen referiert. Es wurde methodisch dabei so vorgegangen,
daß nur Patienten mit einem gesicherten indirekten Trauma einer
ophthalmologischen Untersuchung mit Spaltlampe, Hruby-Linse und
Goldmannglas unterzogen wurden. Besondere Berücksichtigung findet
die Erkennung disponierender Faktoren wie Myopie, senile oder
degenerative Erkrankungen. Die Traumen werden nach Art und Schwere
genau aufgeschlüsselt.
In der Auswertung wird gezeigt, daß bei
den 116 untersuchten Patienten keine Ablatio aufgetreten ist, obwohl
die Mehrzahl der Kranken disponierende Faktoren
aufwiesen.
Abschließend wird die Meinung vertreten, daß
indirekte Traumen bei gesunden Augen nicht zur Ablatio führen. Damit
es zur Netzhautablösung kommen kann, muß eine endogene Bereitschaft
des Auges vorliegen. Für eine abschließende Beurteilung ist das
dieser Arbeit zugrunde liegende Material jedoch zahlenmäßig noch zu
gering.
Dr. med Achim Sommerbrodt